Augmented Reality: Das Kinderbuch neu erfunden?

Über eines lässt sich nicht mehr hinwegsehen: Digitale Technologien haben Einzug ins Kinderzimmer gehalten und das Leseverhalten von Kindern stark verändert. Digitales Lesen ist mittlerweile für viele Kinder genauso selbstverständlich wie Spielen an der Konsole. Tablet und Smartphone gehören genauso zu ihrem Alltag wie der Fußball oder das Skateboard. Und das Angebot an digitalem Lesestoff ist bereits gewaltig, Tendenz stark zunehmend.

Für manche Eltern und Pädagogen gleicht dieses Bild allerdings eher einer ultimativen Katastrophe, einem Schiffsuntergang: Muss nun das gute alte, optisch und haptisch so wertvolle Buch der virtuellen Abbildung seiner selbst zum Opfer fallen? Ist es wirklich soweit? – Nein, soweit ist es nicht, zumindest noch nicht. Und die Rettung kommt ausgerechnet aus der Richtung, aus der man sie am wenigsten erwartet: vonseiten der digitalen Welt. Eine neue Technologie, Augmented Reality (AR) genannt, verspricht das Buch neu zu erfinden.

Augmented Reality – Was sie ist und was sie kann …

Augmented Reality, also „erweiterte Realität“, kurz AR, ist eine computerbasierte Technologie zur intelligenten Erweiterung der menschlichen Realitätswahrnehmung. Dabei werden die mittels der Kamera eines mobilen Geräts erfassten Ansichten der realen Welt mit zusätzlichen digitalen Informationen als Text, Bild oder Klang angereichert, so dass auf dem Display eine neue Version der vorgegebenen Realität zum Vorschein kommt.

Dass Augmented Reality ein richtig heißes Zukunftsthema ist, wird definitiv daran klar, dass Apple kürzlich das Münchner Digitalunternehmen Metaio gekauft hat, welches 2010 mit dem SZ-Magazin und 2012 mit dem Ikea-Katalog für aufsehenerregende Projekte sorgte. Bei Ersterem wurden nahezu lebensechte Bildanimationen realisiert, bei Letzterem eine virtuelle Einrichtungshilfe für die eigene Wohnung geschaffen.

… und was sie für das Kinderbuch bedeutet

Auch die Kinderbuchbranche hat mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt und bei der diesjährigen AKEP-Konferenz bei den Buchtagen in Berlin erste AR-Projekte vorgestellt. Die AR-Technologie bietet hier die Möglichkeit, unter Verwendung einer Software-Applikation auf einem mobilen Gerät eine direkte Verbindung zwischen Print- und Digitalmedium herzustellen.

Als einer der ersten hat sich der Carlsen Verlag diese Technologie zu eigen gemacht und mit dem Kinderbuchprogramm LeYo! eine hybride Kinderbuchreihe auf den Markt gebracht: Jedes Buch funktioniert sowohl als reine Printausgabe wie auch als digital angereichertes Medium. Damit es zwischen den beiden Medien funkt, muss aber zusätzlich zur LeYo!-App für jedes Buch noch ein eigenes Datenpaket heruntergeladen werden.

Sobald die Kamera des Mobilgerätes auf eine Buchseite gerichtet wird, erkennt sie dort bestimmte Hotspots (signalisiert durch kleine grüne Kreise auf dem Display) und löst neue multimediale Inhalte aus, wie etwa Geräusche, Erzählungen in Text oder Audio, oder auch nur weitere Bilder: Im Bilderbuch „Alle Vögel sind schon da“ wird etwa ein vielstimmiges Vogelkonzert ausgelöst, im folgenden Bild erhalten wir Einsicht in den Bauch des Wolfes.

Die Tablet-Kamera erkennt den Hotspot auf der Buchseite und ruft ein neues Bild auf das Display (Aus dem Bilderbuch „Mein großer Märchenschatz", LeYo!-Reihe, Carlsen)

Die Tablet-Kamera erkennt den Hotspot auf der Buchseite und ruft ein neues Bild auf das Display (Aus dem Bilderbuch „Mein großer Märchenschatz“, LeYo!-Reihe, Carlsen)

TigerCreate kündigt eine Revolution an

Anders als die LeYo!-App kommt das Oetinger-Startup TigerCreate ganz ohne AR-Hotspots im Buch aus: Die mit dieser Software erzeugten interaktiven E-Books und Apps bedürfen keiner eigens für diesen Zweck konzipierten Bücher. Vielmehr ermöglicht es TigerCreate, beliebige bereits vorhandene Kinderbücher mithilfe der Augmented Reality-Technologie zu erweitern und auf den verschiedensten Plattformen zu benutzen.

Die Kamera der App erkennt den Titel und zeigt automatisch diejenigen AR-Erweiterungen an, die nachträglich eigens für den Titel implementiert wurden. Je nachdem welche Erweiterung der Benutzer wählt, lösen sich entsprechende neue Inhalte aus: Im Video oben sind es z.B. Wellenanimationen und Blitze am Himmel in 3D, die Bildsequenz hier unten zeigt wieder (wie bereits im Video) das Eintauchen und Herausspringen des Nilpferds in 3D.

Links die Buchseite, in der Mitte und rechts zwei Animationen in 3D auf dem Display des Mobilgeräts (Aus dem Programm der TigerBooks Media/ Verlagsgruppe Oetinger)

Links die Buchseite, in der Mitte und rechts zwei Animationen in 3D auf dem Display des Mobilgeräts (Aus dem Programm der TigerBooks Media/ Verlagsgruppe Oetinger)

Die ersten mit der Software TigerCreate erstellten AR-Titel sind ab Frühjahr 2016 in der Kindermedienwelt „TigerBooks“ sowie im stationären und online-Buchhandel erhältlich.

Mit Augmented Reality gewinnt das Kinderbuch an Potential

Egal welchen Standpunkt man zum digitalen Lesen bei Kindern einnimmt, ob man für oder wider die digitalen Lesemedien ist, lässt sich nicht übersehen, dass die Augmented Reality-Technologie zunächst einmal eine vielversprechende Möglichkeit der Erneuerung und der Innovation darstellt. Wie auf der Bologna Children’s Book Fair 2015 deutlich wurde, weisen digitale Angebote ein großes Potenzial auf, um Kinder zum Lesen zu motivieren.

Mit dem Einsatz der Augmented Reality wächst die Lesemotivation um ein Vielfaches: Denn die Technik ist zum einen neu und weckt Neugier, zum anderen verspricht sie Wunder. Dem Anspruch der AR-Produkte, für völlig neuartige Leseerlebnisse sorgen zu wollen, müssen allerdings sowohl eine voll ausgereifte Technik wie auch richtig interessante Inhalte entsprechen, die dafür sorgen, dass Technik-Frust und Lange-Weile fern bleiben. Beides unter einen Hut zu bringen wird eine echte Herausforderung sein.

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First and second Image from Carlsen Verlag, Video and last image from TigerBooks Media/ Verlagsgruppe Oetinger

Comments

  1. Ich denke, dass Augmented Reality-Applikationen sich in den kommenden Jahren langsam durchsetzen werden. Lediglich die passenden Endgeräte fehlen noch, mal schauen, was sich am Ende durchsetzen wird. Ende des Jahres weiß man vielleicht schon etwas mehr, falls die zweite Generation von Google Glass rechtzeitig Marktreife erlangt. Speziell Kinder werden durch ihren intuitiven Umgang mit neuer Technik automatisch in diese virtuellen Zusatzwelten eintauchen und sie nutzen. Solange sie dabei effizienter oder mit mehr Spaß lernen, ist das auch völlig ok und sollte von den Eltern nicht verteufelt werden.
    Übrigens richtig gut geworden euer Blog. Informativ, übersichtlich und schick, weiter so!

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